Ein spannender Vortragsabend im Saal der Freien Waldorfschule am 24.1.2025
Der Umgang mit Aggressionen bei Kindern und Jugendlichen stellt Eltern, Lehrkräfte und Fachkräfte vor große Herausforderungen. Autoritäre Erziehung alten Stils ist out. Was tun?
Als Auftakt zu einer lockeren Folge von öffentlichen Vorträgen und Workshops zu Kommunikation und Konflikten in der Erziehung hielt Frau Katharina Pommer, M. Sc. Angewandte Psychologie, einen kurzweiligen, informativen und anschaulichen Vortrag zum Thema “Neue Autorität: ein Ansatz für den Umgang mit Aggressionen bei Kindern und Jugendlichen”.
Obwohl die erfahrene Referentin wie angekündigt zwei Stunden sprach, blieben trotz einer kurzen Pause alle Teilnehmer – der Saal war etwa zu drei Vierteln gefüllt – bis zuletzt.
Das lag nicht nur an der spannenden Thematik, die – wie die aufmerksame Stille und die Zuhörerreaktionen und -fragen am Ende zeigten – offenbar einem starken Bedürfnis nach Aufklärung entsprach, sondern auch an der charmanten Art des Vortrags, der von einer Beamer-Präsentation unterstützt wurde, und den vielen praktischen Tipps sowie den lange angekündigten praktischen Übungen am Ende.
Frau Pommer skizzierte zunächst psychologische Grundlagen wie die frühkindliche Bindung und mögliche Beziehungsstörungen sowie die kindliche und elterliche Emotions(-ko-)regulation. Sie fragte nicht nur nach der Entstehung von Aggressionen und den möglichen Ursachen, sondern auch, warum sie uns so sehr triggern. Zum einen verbinden wir aggressives Verhalten besonders dann, wenn wir uns – wie bei unseren Kindern oder Schülern – verantwortlich fühlen, häufig mit einem Gefühl des Kontrollverlustes. Andererseits reagieren Erwachsene oft unbewusst auf kindliche Aggressionen, indem sie eigene, unverarbeitete Konflikte wiedererleben.
Im Hauptteil stellte Frau Pommer den Ansatz der “Neuen Autorität” nach Haim Omer der “Alten Autorität” gegenüber. Im Unterschied zum alten “autoritären Erziehungsstil” verzichtet der “autoritative Erziehungsstil” auf Distanz, Gehorsam, Kontrolle, Strafe und Geheimhaltung als Prinzipien und setzt auf Respekt, erzieherische Präsenz, wachsame Sorge, Transparenz, Wiedergutmachung und Unterstützersysteme. Dieser Ansatz ist seit den 90er Jahren zunächst von dem deutschstämmigen, aus Brasilien nach Israel eingewanderten Psychologen Haim Omer entwickelt und mit vielen Mitarbeitern in mehreren Ländern in der Arbeit mit Eltern und Lehrern erprobt worden. Er zielt darauf ab, Machtkämpfe zu vermeiden. Vertrauen, emotionale Sicherheit und Konfliktfähigkeit sind nicht nur hehre Ziele, sondern können durch einfache Strategien und Methoden erreicht oder wiederhergestellt werden. Bindungsorientierung und stabile Beziehungen einerseits, klare Grenzen andererseits sind der Schlüssel. Wichtig sind Wertschätzung, Klarheit, Beharrlichkeit und gewaltfreier Widerstand. An die Stelle von Kontrolle und kämpferischen Durchsetzungsversuchen treten Selbstkontrolle und körperliche und emotionale Präsenz und Authentizität.
Präsenz, so die Vortragende, bedeute:
“Ich bin da. Ich sehe dich. Ich bin für dich verantwortlich.”
Die so verstandene Präsenz lässt sich stärken. Präsenz drückt Verlässlichkeit aus und schafft so ein Gefühl von Sicherheit – die Grundlage für Resilienz.
Außer mit humorvoll präsentierten praktischen Beispielen und weiteren theoretischen Ausführungen hielt die Referentin das Publikum mit Wiener Charme und vielen Nachfragen bei Laune.
Den Anwesenden gab sie einfach handhabbare Methoden mit – “die vier Körbe”, die entscheiden helfen, worauf man reagiert und worauf besser nicht, den Elternbrief und Körperübungen, die es auf schnelle und einfache Art erlauben, sich zu fangen und wieder ins Gleichgewicht zu kommen.
Im Anschluss bestand die Möglichkeit, das neueste Buch der fünffachen Mutter und vierfachen Buchautorin zu erwerben und signieren zu lassen. Gern und ausführlich beantwortete Frau Pommer auch nach zwei Stunden Vortrag noch individuelle Anliegen.
Der Vortrag wurde mit Einwilligung der Referentin aufgezeichnet. Es ist geplant, die Videoaufnahme demnächst auf dem Youtube-Kanal der Schule zugänglich zu machen.
Die nächsten Veranstaltungen in dieser lockeren Folge sind ebenfalls dem systemischen Ansatz Haim Omers gewidmet. Am 21.3. wird Anton Hergenhan aus München – wiederum an einem Freitagabend um 18:30 Uhr – einen öffentlichen Vortrag halten zum Thema “Aggressive Kinder? – systemisch wirksame Lösungen”, am 22.3. schließt sich ein Workshop an unter dem Titel “Aggressiv auffällige Kinder? Was wollen sie uns sagen und wie gehen wir mit ihnen um?”. Anmeldungen zu beiden Veranstaltungen über das Schulbüro.
Reimar Huber/Christina König